Einleitung
„Sehr geehrte Frau/Herr, anbei senden wir Ihnen unser Schreiben vom heutigen Tage vorab per E-Mail/PDF. Mit freundlichen Grüßen“
So oder so ähnlich werden täglich zahlreiche E-Mails mit PDF-Anhängen verschickt, die Scans von Schreiben oder Schriftsätzen enthalten. Es hat sich in der Praxis etabliert, mit diesem Vorgehen einen sofortigen Zugang und eine schnellstmögliche Kenntnisnahme erreichen zu wollen. Beliebt ist dieses Vorgehen vor allem bei Schreiben mit kurzen Fristen, bei denen es auf einen schnellstmöglichen Zugang ankommt.
Ist dies aber ein rechtssicherer Weg der Kommunikation?
Kürzlich befasste sich das OLG Hamm mit dieser Frage (Beschl. v. 09.03.2022 – 4 W 119/20 = NJW 2022, 1822). Das OLG Hamm entschied:
- Wird ein Schreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich öffnet.
- Im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen.
Dies ist augenscheinlich die erste obergerichtliche Rechtsprechung, die sich mit dieser Frage befasste. Bislang und erst recht seit dieser Rechtsprechung des OLG Hamm ist diese Frage in der Literatur stark umstritten (siehe nur den Beitrag Hengstbergers im selben Heft der NJW, in dem auch der Beschluss des OLG Hamm veröffentlicht wurde, NJW 2022, 1780, Perino-Stiller, GRUR-Prax 2022, 299 oder Bolz, IBR 2022, 2540).
Was bedeutet diese Entwicklung nun für die Praxis der Rechtsanwendung?
Es gibt jeweils gute Argumente für und gegen die verschiedenen Literaturansichten bzw. die Ansicht des OLG Hamm. Definitiv festhalten lässt sich, dass infolge des Beschlusses des OLG Hamm indiziert ist, dass das Vorgehen „vorab per E-Mail/PDF“ jedenfalls kein rechtssicheres Instrument mehr ist.
Der Beschluss des OLG Hamm ist in der Welt und es ist zu erwarten, dass sich Empfänger von Schriftstücken per E-Mail/PDF auf diese Rechtsprechung berufen werden. Selbst wenn der BGH sich der Rechtsprechung des OLG Hamm nicht anschließen sollte und eine versendergünstigere Ansicht bevorzugen würde, ist noch nicht erkennbar, wann eine solche Klärung erfolgen wird.
Bis dahin kann nicht seriös vorhergesagt werden, ob die Rechtsprechung des OLG Hamm „halten“ wird oder nicht.
Für die Anwendungspraxis bedeutet dies, dass vorsorglich davon ausgegangen werden muss, dass die Ansicht des OLG Hamm den neuen Standard bildet und die Vorgehensweisen an diesen Standard angepasst werden müssen.
Welche relevanten Konstellationen gibt es?
Für die Anwendungspraxis sind im Allgemeinen folgende Konstellationen zu unterscheiden:
- Ein Schriftstück wird sowohl per E-Mail/PDF als auch per Briefpost versandt. Der Zeitpunkt des Schriftstücks per Briefpost ist ausreichend. Ein vorheriger Zugang per E-Mail ist zwar nützlich, jedoch nicht erforderlich.
- Ein Schriftstück wird nur elektronisch per E-Mail/PDF versandt.
- Ein Schriftstück wird sowohl per E-Mail/PDF als auch per Briefpost versandt. Bestimmte Folgen sollen jedoch bereits mit dem Zugang der E-Mail ausgelöst werden (bspw. ein Verzug, ein Fristlauf), wobei es für den Eintritt der jeweiligen Wirkungen auf einen möglichst schnellen Zugang ankommt (bspw. eine besonders kurze Frist in Bauangelegenheiten oder in Vorbereitung einstweiliger Verfügungsverfahren).
Konstellation 1 ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des OLG Hamm unproblematisch. Auf die Kenntnisnahme des PDF-Anhangs kommt es insoweit nicht zwingend an.
Anders in den Konstellationen 2 und 3. Dort ist die Briefpost eher eine formale Dokumentation. Die Rechtswirkungen sollen jedoch bereits mit der elektronischen Kommunikation ausgelöst werden. Gerade in diesen Konstellationen wird es darauf ankommen, dass ein Zugang mit höchstmöglicher Rechtssicherheit herbeigeführt werden kann.
Welche Handlungsalternativen ergeben sich?
Eine einfache und praktikable – wenn auch optisch etwas unschöne – Möglichkeit dürfte hier sein, den Inhalt des Schriftstücks direkt als E-Mail-Text zu versenden. Es bleibt dem Versender auch in diesem Fall unbenommen, das Schriftstück zusätzlich als PDF anzuhängen. Für den Zugang einer reinen Textdarstellung in einer E-Mail gelten die allgemeinen Grundsätze in der Rechtsprechung.
Alternativ kann die Versendung von PDF-Anhängen entsprechend vorbereitet werden, indem an eine vorherige Kommunikation angeknüpft wird oder eine E-Mail-Kommunikation durch vorherige Ankündigung legitimiert wird. Die maßgebende Erwägung des OLG Hamm war, dass es dem Empfänger von Anhängen von unbekannten Absendern wegen der allgemeinen Virusgefahr nicht zugemutet werden könne, einen Anhang zu öffnen. Diese Erwägung greift nicht durch, wenn schon zuvor ein Austausch von E-Mails erfolgte und die Seriosität der jeweiligen Absender bekannt ist. In diesem Fall müsste sich der Empfänger jedenfalls erklären, weswegen er nur diese E-Mail nicht zur Kenntnis genommen haben möchte, die übrigen E-Mails jedoch schon, insbesondere wenn dieser Anhänge beigefügt waren.
Natürlich kommen noch weitere Möglichkeiten in Betracht, die qualitativ gleichwertige Handlungsmöglichkeiten bieten. Allerdings werden diese keine faktisch gleichwertige Vorgehensweisen darstellen.
Für die Kommunikation unter Rechtsanwälten hat das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) einen Kommunikationsweg eröffnet, der ähnliche Ergebnisse gewährleisten kann. Die Praxis zeigt jedoch, dass die beA-Postfächer in vielen Kanzleien von den jeweiligen Sekretariaten wie die Briefpost behandelt werden und dass Rechtsanwälte E-Mails schlicht zeitnäher zur Kenntnis nehmen. Auch wenn mit dem elektronischen Bürger- und Organisationenpostfach (eBo) ein dem beA ähnlicher Kommunikationsweg für Nicht-Rechtsanwälte eröffnet werden soll, dürfte dieser Kommunikationsweg zunächst keine große Verbreitung haben.
Auch könnte zum Fax zurückgekehrt werden. Mit einem Fax können zeitlich ähnliche Ergebnisse erreicht werden. Allerdings ist zu beachten, dass das Fax zwar bei Rechtsanwälten noch weit verbreitet ist, jedoch im allgemeinen Geschäftsverkehr eine Faxzugangsmöglichkeit nicht mehr selbstverständlich ist.
Ebenso bestünde die Möglichkeit – ebenfalls etwas unschön –, das Schriftstück als Bilddatei direkt in die E-Mail einzufügen. Jedoch bestünde bei diesem Vorgehen das Risiko, dass solche E-Mails an bestimmten Firewalls scheitern würden.
Fazit
Wie dargestellt, hat die Kommunikation vorab per E-Mail/PDF immense Vorteile, jedoch auch seine Tücken.
Die generellen Problematiken, die beim Beweis des Zugangs von E-Mails bestehen, wurden durch den Beschluss des OLG Hamm in Bezug auf PDF-Anhänge noch intensiviert.
Ob die Ansicht des OLG Hamm die „richtige“ Ansicht ist, kann dahinstehen. Sie ist in der Welt und indiziert eine Rechtsunsicherheit.
Für die Praxis kann dies nur bedeuten, dass bei Schriftstücken, bei denen es auf den sofortigen Zugang ankommt, sorgfältig geprüft werden muss, welcher Kommunikationsweg gewählt werden sollte und ob eine Versendung vorab per E-Mail/PDF (oder überhaupt per E-Mail) in diesem Fall ein hinreichend rechtssicheres Vorgehen ist.
Keine Auswirkungen hat die Rechtsprechung des OLG Hamm natürlich auf solche Erklärungen, für die eine „echte“ Schriftform vorgeschrieben ist (z. B. Kündigungen). Diese müssen nach wie vor schriftlich zugehen, um wirksam zu werden, oder in elektronischer Form, also mit qualifizierter elektronischer Signatur. Die Übersendung vorab per E-Mail/PDF beeinflusst in diesen Fällen nicht den Zeitpunkt des wirksamen Zugangs, sondern kann allenfalls den Zeitraum zwischen Zugang und tatsächlicher Kenntnisnahme verkürzen, sofern die tatsächliche Kenntnisnahme etwa durch einen internen Postlauf verzögert erfolgt.